Tag 16 – Prozessbericht vom 23.09.2021

+++ Kurzer Verhandlungtag mit knapp über einer Stunde Dauer +++ Mitarbeiter des LKA Sachsen-Anhalt kann sich noch an Observation im März 2011 erinnern – zwei seiner unvergesslichen Highlights aus dieser Zeit: 1. jemand wirft Umschläge in einen Briefkasten ein und 2. jemand sitzt mit einem Laptop in einer Bar, die offenes WLAN hat +++

Der 16. Verhandlungstag begann um 10:05 Uhr im Saal B218 des Landgerichts Berlin. Anwesend waren die üblichen Prozessbeteiligten sowie sechs solidarische Besucher:innen im Zuschauerraum.

Herr Binder, 40 Jahre alt, Polizeibeamter mit Dienstort Magdeburg ist erster und einziger Zeuge des Tages.

Der Richter beginnt mit der Frage an den Zeugen ob er wisse worum es geht, dieser bejaht, denn es hätte in der Ladung gestanden. Der Richter umreißt, dass es um Observationen von März 2011 geht, an denen Binder beteiligt gewesen sein soll. Dieser gibt an Erinnerungen an den Einsatz zu haben. Der Richter erwähnt, dass er mit dem Zeugen telefoniert habe und fragt nun ob dieser auch schon davor Erinnerungen gehabt habe.

Binder sagt, dass er sich vor allem noch an zwei Sachen erinnere, denn manche Szenen würden sich einfach einprägen. Die erste Szene, die ihm in Erinnerung geblieben sei, ist die, dass in der Nacht vom 15. auf den 16. oder 16. auf den 17. März unser Genosse dabei beobachtet worden sei, wie er A4 Umschläge in einen Briefkasten einwarf. Diese sollen dann, mit einer in den Briefkasten nachgeworfenen Zeitung, markiert worden sein, und es wurde sichergestellt, dass bis zur Leerung am Morgen keine weiteren Einwürfe stattfanden. Anschließend seien so die Sachen zugeordnet worden. Er selbst habe das nicht beobachtet, er habe das ausschließlich über den Funk verfolgt, welchen er damals koordiniert habe.

Der Richter fragt nach dem Ablauf der Kommunikation über Funk. Dazu antwortet Binder, dass der Kollege der etwas wahrnehme, dies dann über Funk schildere und er selbst dann zunächst überlege wie man sich dann taktisch gut aufstelle. Auf Nachfrage gab er an, dass die Schilderungen auch eins zu eins aufgeschrieben würden. Zu der Frage wer am Briefkasten observiert habe, teilt Binder einen Herrn Karasek mit, der über die Dienststelle zu erreichen sei.

Die zweite Sache an die er sich erinnere, sei einen Tag davor oder danach gewesen, eine Observation am Kottbusser Tor. Unser Genosse hätte sich gegen 1 Uhr in der Nacht in ein Internetcafé gesetzt und dort mit seinem Notebook ins WLAN eingeloggt. Er könne sich daran erinnern, weil das BKA im Nachgang mitgeteilt hätte, das aus diesem WLAN Bekennerschreiben versendet worden wären. Dies hätte er einen Tag später vom BKA erfahren, denn es gäbe einen engen Austausch bei operativen Maßnahmen. Auch in dieser Nacht war Binder hinterm Funkgerät tätig, Herr Pietsch, der die Beobachtung gemacht habe, ist verstorben. Es würde aber einen Vermerk von Pietsch dazu geben.

Der Richter fragt ob Binder Cem erkennen würde. Dieser bejaht, er habe ihn auch live gesehen, da er in einem Observationszeitraum von zwei Wochen, an mehreren Tagen direkt an der Observation beteiligt gewesen sei. An welche Beobachtungen er sich noch erinnern könne, kann er nicht genau sagen, unser Genosse wäre wohl U-Bahn gefahren und gelaufen.

Der Richter fragt ob es eine Schlussfolgerung sei, dass Cem sich mit dem Laptop ins WLAN eingeloggt habe. Dies wird mit ja beantwortet. Ob er den Observationsbericht kenne, beantwortet der Zeuge auch mit ja. Daraufhin kommt die Frage wann dieser gefertigt wurde. Er antwortet, dass dies Tagesgenau geschehe, manchmal würden mehrere Tage zusammengefasst und an den Auftraggeber, das BKA, gesandt. Der Richter liest Observationszeiträume vor: 16.03. von 14:30 – 22:00Uhr, 17.03. von 13:45 – 03:01 Uhr, 18.03. von 14:13 – 01:05 Uhr und 19.03. von 18:00 – 01:32 Uhr. Auf dem Schreiben an das BKA wäre der 19.03. vermerkt, wurde dies alles dann oder einzeln gefertigt? Der Zeuge geht zum Richtertisch, um es sich anzuschauen und kommentiert, dass dort mehrere Tage zusammengefasst und versendet worden seien.

Der Richter fragt nach internen Observationsberichten der Polizei. Der Zeuge sagt, diese würde es geben, seien aber in diesem Fall nicht mehr auffindbar, vermutlich wurden diese vernichtet, wegen Datenschutz, da es ja über 10 Jahre her sei.

Auf die Frage nach der beruflichen Erfahrung von Pietsch, gibt er an, dass er ein erfahrener Beamter gewesen sei, der 2011 schon 5 Jahre in dem Bereich mit dabei war. Der Richter fragt wie die Mitteilungen während der Observation verschriftlicht würden. Das sei unterschiedlich, er selbst habe auf eine Stenorette gesprochen, diese abends abgehört und aufgeschrieben. Der Richter teilt seine Erfahrung aus anderen Prozessen, in denen ihm von Polizisten berichtet wurde, dass diese sich nach Observationen zusammen setzen, um die Wahrnehmungen abzugleichen und auszuwerten. Binder antwortet, dass sich etwaige Widersprüche meist während des Einsatzes auflösen, weil Korrekturen gemeldet werden. Nachbesprechungen gäbe es natürlich auch.

Es beginnt die Befragung durch die Verteidigung. Sie fragen nach den Erinnerungen zum Internetcafé und was Binder darunter verstehen würde. Er erzählt, dies sei eine Bar, in welche man sich rein setzen, was trinken und auch seine Arbeit machen könne. Welche Art von Internetcafé genau, ob dort Geräte (PCs) vor Ort gewesen seien, wisse er nicht mehr. Auf die Frage wie der Kontakt zwischen ihm und Pietsch gewesen sei, ob dauerhaft mittels Standleitung oder sporadisch sagt Binder, dass alles was Pietsch gesagt habe verschriftlicht worden sei. Die Verteidigung sagt, es würden drei Eintragungen zu dem Abend hervorgehen, 1x zwei Sätze und 2x ein Satz, ob das alles wäre was Pietsch gesagt hätte? Binder antwortet, dass er davon ausgehe. Auf die Frage nach einem ausführlicherem Bericht, antwortet der Zeuge, dass diese bloß eine kopierte Fassung wäre, mit dem Zusatz der Namen, wer welche Beobachtung gemacht habe.

Auf Nachfrage der Verteidigung berichtet Binder außerdem, dass sein Kollege vor Ort nichts genaueres gesehen habe, weil dieser nicht näher an sein Zielobjekt hätte heran gehen können, da er sonst von diesem gesehen worden wäre. Auf die Frage der Verteidigung, ob dies eine Erinnerung oder eine Vermutung wäre, antwortet er, dass es keine Erinnerung sei. Die Verteidigung äußert ihr Unverständnis dafür, dass der Polizeizeuge, trotz seiner Erfahrung, das vorhergehende berichtet habe. Denn die Verteidigung sei nur an seinen Erinnerungen interessiert. Der Richter grätscht dazwischen mit der Aufforderung, die Verteidigung solle dann ihre Fragen doch anders stellen, woraufhin die Verteidigung das Recht bei sich behält wie sie die Fragen formuliere.

Weiter geht es mit einer Nachfrage zu Wahrnehmungslücken, während der Observation. Diese hätte es nicht gegeben laut dem Zeugen, da sein Kollege ihm dies gemeldet hätte. Die Verteidigung liest daraufhin einen Vermerk seines besagten Kollegen vor, in welchem steht, dass eine ununterbrochene Wahrnehmung nicht möglich gewesen sei. Der Zeuge erklärt, dass dies wohl daran liege, dass der Vermerk nach der Anfertigung der Observationsbericht gemacht wurde, etwa ein oder zwei Tage später. Der Observationsbericht würde dann nachträglich nicht mehr geändert. Er selbst kann sich an Meldungen über Unterbrechungen nicht erinnern. Die Verteidigung benennt die drei Uhrzeiten aus dem Observationsbericht der Nacht und fragt, ob möglicherweise nur zu diesen Uhrzeiten Wahrnehmungen gemacht wurden? Dies sei nicht möglich laut dem Zeugen, Erinnerungen habe er aber nicht. Die Verteidigung befragt den Zeugen zu den Gegebenheiten in der Bar (Internetcafé). Dieser sagt, er wisse nicht mehr wie viele Personen dort anwesend waren, wenn dann aber nur ein bis zwei weitere, der Laden wäre auch nicht groß, so für 20 Personen. Er wäre später selbst mal dort gewesen, um sich die Örtlichkeit anzuschauen. Die Verteidigung hält einen Vermerk von Pietsch vor, in dem steht, dass mehrere Personen in der Bar gewesen seien. Dazu hat Binder keine Erinnerung. Ob auch andere Personen mit Cem dort gewesen seien oder seinen Rechner hätten nutzen können, kann Binder nicht ausschließen. Zur Frage ob es möglich wäre, dass aus anliegenden Lokalen auf das Internet der Bar hätte zugegriffen werden können und was in der Nähe der Bar sei, sagt der Zeuge, dass es dort Döner und Imbisse usw. in der Nähe gäbe. Ihm sage auch das „Café Kotti“ etwas, er könne es jedoch nicht einordnen.

Auf die Frage der Verteidigung, wie es bei der Bar aussehe, sagt der Zeuge, dass er es mit googlemaps zeigen könne. Er beschreibt, es sei erhöht gewesen, eine Treppe zum hoch laufen, es hätte einen Teil des Platzes (Kottbusser Tor) tangiert und sei im 1. OG wie auf einer Balustrade gewesen. Das Haus in dem die Bar sei, wäre kein Gründerzeithaus, aber auch kein 20-Geschosser. An andere Clubs im nahen Umfeld habe er keine Erinnerungen, dort in der Gegend seien aber viele Imbisse und so.

Es wird gefragt ob dieser Ort, nach seiner Beschreibung, nicht schwierig für Observationen wäre. Er sagt, dass vom Außenbereich, auf der Balustrade, durch die großen Außenfenster des Cafés gut beobachten werden konnte. Pietsch hätte so beobachtet wie Cem vor einem aufgeklapptem Laptop gesessen habe. Auf die Frage ob es nicht auffällig sei, wenn jemand von außen die ganze Zeit in das Fenster rein starren würde, antwortete Binder, dass auch um diese Zeit, 1:00 – 2:00 Uhr nachts, am Kottbusser Tor viel los gewesen sei.

Die letzte Frage der Verteidigung bezieht sich auf den Observationsbericht, in welchem jeweils ein Vermerk zum Betreten des Cafeś, zum Verlassen des Cafeś und nur einer dazwischen sei. Was könne man daraus schließen? Der Zeuge sehe das als ganz normal an, man hätte bei Beobachtungen immer mehr Infos, diese würde man filtern und dann weiter geben. Bei den Protokollen werden nur neue Informationen aufgezeichnet, wenn die Situation unverändert ist, gäbe es keinen Vermerk dazu.

Einer der Schöffen möchte sich vergewissern, angesichts der vielen mitgeteilten Infos und in Anbetracht der Tatsache, dass er die Berichte nicht kenne, und fragt ob es korrekt sei, das nur Infos wie Ortswechsel mitgeteilt würden, jedoch nicht Infos darüber, dass die Zielperson ihren Platz verlässt um beispielsweise auf die Toilette zu gehen. Dies wird vom Zeugen bestätigt, nachdem dieser dem Schöffen ins Wort gefallen war, um zu fragen, wer er denn sei.

Der Zeuge wird entlassen.

Die Verteidigung kündigt eine Erklärung zum nächsten Termin an. Das Gericht unterbricht die Verhandlung für fünf Minuten.

Um 11 Uhr geht es weiter. Das Gericht beschließt den Vermerk vom 5. April 2011 des Polizisten Pietsch zu verlesen. Der Vermerk wird verlesen, inhaltlich geht es um eine Beobachtung vom 18.03.2011 um 0:15, in welcher unser Genosse mit seinem Laptop in der Bar Eis 36 gewesen sein soll, in dem Vermerk steht geschrieben, dass auch andere Zugriff auf das WLAN-Netzwerk der Bar gehabt haben könnten.

Die Verteidigung gibt noch eine Erklärung ab und verweist auf den Vermerk, dass es bei der Observierung keine ununterbrochene Beobachtung gab. Offensichtlich, nach dem Bericht zu folge, gab es nur die drei vermerkten Zeitpunkten an dem eine Observierung möglich gewesen sei. Ergänzend erklärt einer der Verteidiger, dass nach seiner Recherche und Erinnerung, der besagt Eisladen im Erdgeschoss gewesen sei und nun nicht mehr existiere.

Damit endet der 16. Verhandlungstag um 11:05 Uhr.

Nächster Prozesstermin ist Dienstag 5. Oktober 2021 um 09:00 Uhr, Saal B218 Eingang über Portal B129 in der Wilsnacker Str. 4, 10559 Berlin-Moabit.