»Vermummt und bewaffnet standen sie vor meinem Bett«

Aus der Tageszeitung „Neues Deutschland vom 16.07.2013“
 

Gespräch über das aktuelle Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in den Revolutionären Aktionszellen

Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen neun Personen aus Berlin, Magdeburg und Stuttgart wegen Mitgliedschaft in den Revolutionären Aktionszellen (RAZ). Diese Gruppe zeichnete für fünf Brandanschläge auf Berliner Institutionen zwischen 2009 und 2011 verantwortlich (mehr: www.dasnd.de/827483).
Niels Seibert sprach mit Anja (Name geändert), einer Beschuldigten, bei der am 22. Mai eine Hausdurchsuchung stattfand. Die Auszubildende engagiert sich im Themenfeld Antirepression sowie in Stadtteil- und Arbeitskämpfen.

nd: Wenn ein Verfahren nach Paragraf 129 StGB eingeleitet wird, werden die Betroffenen nicht sofort darüber informiert. Wie haben Sie erfahren, dass gegen Sie ermittelt wird?
Anja: Es war vor knapp zwei Monaten, um 6 Uhr morgens. Ich wachte durch einen lauten Knall und Schreie auf. Ehe ich mich versah, schauten mich drei oder vier maskierte Männer an. Vermummt, bewaffnet und in Kampfmontur standen sie vor meinem Bett und befahlen mir die Hände zu zeigen. Dann wurde ich in Handschellen gelegt.

Was dachten Sie in diesem Moment?
»Hier stimmt doch was nicht!« und »Was ist los?« Im Anschluss an dieses Spektakel verlas ein BKA-Beamter den Vorwurf: »Sie sind Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren nach Paragraf 129 und hier ist der Durchsuchungsbeschluss.«

Was wird Ihnen konkret vorgeworfen?
Es geht um die angebliche Mitgliedschaft und Unterstützung der Revolutionären Aktionszellen. Die RAZ haben in den vergangenen Jahren Sprengstoff- und Brandanschläge gegen verschiedene Behörden und Einrichtungen verübt. In ihren Erklärungen kritisieren die RAZ soziale Ungleichheit. Sie machen dafür die Regierung verantwortlich, die nicht die Interessen der Menschen, sondern die des Kapitals vertrete und umsetze. Außerdem gibt es noch den Vorwurf der Herausgeberschaft der kriminalisierten linken Zeitung »radikal«. Seit den 1980ern steht die »radikal« im Fokus der Ermittlungsbehörden. Sie versuchen immer wieder, ihr Erscheinen zu verhindern, bis jetzt ohne Erfolg.

Sind diese Vorwürfe gegen Sie begründet?
Es ist nichts Neues, dass fortschrittliche Linke und Revolutionäre verfolgt werden, die sich das Ziel gesetzt haben, eine gerechte Gesellschaft aufzubauen, in der alle Menschen in Selbstbestimmung und Würde leben können. Damit wird versucht, Gruppen oder Bewegungen, die Widerstand gegen Unterdrückung leisten, als kriminell und gewalttätig darzustellen. Der Paragraf 129 passt dabei wie die Faust aufs Auge. Es bedarf nur einiger Indizien, um ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Hat dieses einmal begonnen, ist die Palette der Ermittlungsmethoden sehr reichhaltig. So wird die totale Überwachung von Personen gerechtfertigt. Deshalb ist der Paragraf 129 als Schnüffelparagraf bekannt.

Was haben Sie empfunden, als Sie erfahren haben, dass Sie seit etwa drei Jahren überwacht werden?
Jede politische Aktivistin muss mit solchen Maßnahmen rechnen. Solche Repressalien gegen Linke haben eine lange Tradition. Wir wissen, dass Genossinnen und Genossen weltweit und zu anderen Zeiten schon mit ganz anderer Repression fertig geworden sind. Das macht einem Mut.

Sie bezeichnen den Paragrafen 129 als Schnüffelparagrafen. Meinen Sie, dass es in Ihrem Fall nur darum geht, Sie auszuforschen?
Repression zielt immer auf mehr. Die Herrschenden müssen ihre Macht erhalten. Dies versuchen sie mit Lügen, Vereinzelung und Einschüchterung. Das trägt bei uns Betroffenen jedoch keine Früchte. Es gibt keinen Grund, dass wir uns dadurch abschrecken lassen.

Ihre Antworten klingen sehr abgeklärt.
In unserer jahrelangen politischen Arbeit in verschiedenen Teilen der linken Bewegung und im Antirepressionsbereich haben wir uns anhand der Berichte von Betroffenen mit verschiedenen Methoden der Repression auseinandergesetzt. Da wir nun selbst betroffen sind, kann es nur heißen: Jetzt erst recht! Das Vorgehen der staatlichen Stellen werden wir nicht einfach hinnehmen, sondern einen kollektiven, offensiven Umgang damit finden, der uns und die Fortführung unseres politischen Kampfes stärkt.

Erfahren Sie Unterstützung?
Viele politische Gruppen haben uns Unterstützungserklärungen geschickt. In Berlin hat sich ein kleiner Kreis von Leuten zusammengefunden, die Solidarität organisieren. Das gleiche auch in Stuttgart und Magdeburg, wo es ebenfalls Durchsuchungen gab. Im vergangenen Monat gab es Demonstrationen und Kundgebungen, auch vor der JVA Tegel, wo Olli sitzt. Er ist einer der neun Beschuldigten dieses Ermittlungsverfahrens. Da er sich wegen einer früheren Haftstrafe wegen angeblicher Mitgliedschaft in der militanten gruppe und der Brandstiftung an Bundeswehr-Lkw noch im offenen Vollzug befand, wurde er direkt in den geschlossenen Vollzug verlegt, auch seine Zelle wurde durchsucht.