Tag 6 – Prozessbericht vom 13.07.2021

Beginn 9 Uhr, Thema des heutigen Vormittages 27.04.2011 Amtsgericht Wedding (Mahngericht)

Zeuge 1

Als erstes geladen war heute der Polizeibeamte Wolfgang Haak, 59 Jahre aus Berlin, Kripo‑Beamter.

Gefragt nach seinen Erinnerungen sagte er, „ich durfte mich ja einlesen, an Details hätte ich mich aus dem Gedächtnis wenig erinnern können“. Dann sagte er noch seine sonstige Erinnerung sei oberflächlich, es ging wohl um einen Brandanschlag, der Ort sei gleich gegenüber eines Polizeireviers gewesen. So wusste er zum Beispiel nicht mehr ob der Brand innerhalb oder außerhalb des Gerichtsgebäudes gewesen wäre, gesehen habe er einen Kasten mit Flaschen, welcher aber wohl schon gelöscht gewesen sei. Es sei ein Kasten mit größeren Flaschen mit wie er vermutete brennbarer Flüssigkeit, die aber nicht explodiert sei, gewesen. Durch das Lesen des Berichtes wisse er nun etwas über die Flüssigkeit und den Zündsatz, er habe auch Fotos gemacht. Er habe nur an dem Kasten, der nicht gebrannt habe, auch Spuren gesichert, wichtig sei nach seiner Aussage vor allem die DNA-Spur.

Dann wurden Akten mit Fotos vom Tatort in Augenschein genommen. Und der Zeuge meinte dazu wiederum „also aus dem Gedächtnis hätte ich mich an diese Details nicht mehr erinnern können.“

Der Richter fragt daraufhin nach dem Getränkekasten, welcher wohl ein ganzes Stück von der Tür entfernt gestanden habe. Daraufhin meinte der Zeuge das er sich nicht mehr an dessen Standort oder auch an einen brennenden Joghurtbecher erinnern könne.

Auf Rückfrage des Staatsanwaltes gab er an, dass er vom Gericht unaufgefordert eine Kopie seines Berichts zugeschickt bekommen habe.

Der RA fragte dann ob es sein könne ob der Kasten von der Feuerwehr verschoben worden sei, darauf gab der Zeuge an dass er das nicht wisse. Der Zeuge wurde im Anschluss entlassen

Zeuge 2

Nächster Zeuge ist die Berliner Polizeibeamtin Jessi Behrendt, ehemals Heßler, 49 Jahre alt. Auf die Frage ob sie vor dem Einlesen Erinnerungen an das Geschehen hatte bejahte sie. Sie erinnert sich an den Nachtdienst und an einen Brand am Seitengebäude des Amtsgerichts, damals das Mahngericht. Eine Tür habe gebrannt und innen sei es verrußt gewesen vor dem Gebäude habe sie eine Getränkekiste mit merkwürdigem Inhalt der auch komisch roch gefunden. Diese Getränkekiste sei dann von der Kripo sicher gestellt worden.

Sie sei gemeinsam mit ihrem Kollegen Behrendt die erste am Tatort gewesen und noch vor der Feuerwehr an diesem eingetroffen. Die Feuerwehr habe den Kasten auch bewegt. Sie gab an, dass ihr das in Erinnerung kam, als sie die Strafanzeige gelesen habe.

Etwas verschämt berichtete sie auf Nachfrage, dass ihr damaliger Kollege nun ihr Ehemann sei und sie sich mit diesem nach Erhalt der Ladung über den damaligen Vorgang ausgetauscht habe, ihre Erinnerung dazu sei aber besser als seine. Die Ladung habe sie per Fax bekommen, der entsprechende Bericht war diesem Fax angehängt. Der Richter belehrte die Zeugin, dass es günstig wäre, wenn Polizeibeamte zukünftig ihre Berichte in ich-Form verfassten, da es sonst immer wieder zu unkonkreten Aussagen käme.

Die Zeugin beschrieb auf Nachfrage dann ihre Erinnerungen an die Flammen an der Tür, die sehr hoch und deutlich sichtbar gewesen wären, die Vorhalle wäre verrußt und die Holztür extrem stark beschädigt gewesen.

Nun wurden Fotos vom Tatort in Augenschein genommen und der Richter fragt die Zeugin nach Erinnerungen an einen Joghurtbecher.

Sie berichtet von einem Pappbecher, welchen sie vor oder nach der Selbstentzündung gesehen habe.

Sie machte während ihrer Befragung einige widersprüchliche Aussagen und konnte sich an den genauen Ablauf ihrer Beobachtungen nicht erinnern. Insbesondere habe sie keine Erinnerungen was denn dann die Tür in Brand gesetzt habe, weil der beschriebene Kasten ja ein ganzes Stück entfernt von dieser gewesen sei. Es sei naheliegend, aber ihr nicht genau erinnerlich, dass der Zeuge Behrendt (ihr jetziger Ehemann) die weiteren Bilder, welche sich dann in ihren Berichten finden, gemacht habe.

Zeuge 3

Als nächstes geladen war der Zeuge Thomas Kelch, 47 Jahre alt, ebenfalls Polizeibeamter aus Berlin. Auch er gab an einen Bericht zum damaligen Geschehen zusammen mit der Ladung vom Gericht erhalten zu haben.

Er sei am fraglichen Tag Wachhabender gewesen, ein Feuer habe er nicht mehr gesehen, dass wisse er noch. Seine Funktion sei es gewesen, die anwesenden Einsatzkräfte zu koordinieren. Da er sich auch auf Nachfrage an nichts über den Bericht hinausgehendes erinnern konnte, wurde er kurz darauf entlassen.

Unterbrechung der Verhandlung von 10 – 13 Uhr.

Angekündigt wird eine Zeugin vom Bundesamt für Verfassungsschutz zu 13 Uhr.

Der Termin am Nachmittag dieses Tages begann um 13 Uhr.

Die Zeugin vom Bundesamt für Verfassungsschutz saß bereits im Raum, bekleidet mit einer kurzen Grauhaar-Perücke, einer riesigen Sonnenbrille und einer Maske. Ihr Deckname ist Stephanie Heist, 40 Jahre alt, Verwaltungsbeamte mit Dienstort Köln. Für ihre Aussage gibt es eine Aussagegenehmigung vom 27.05.2021 des Bundesamtes für Verfassungsschutz, in welcher die Begrenzung dieser Genehmigung begründet wird.

Das Gericht fragt nach dem Behördenzeugnis und den darin enthaltenen Erkenntnissen, durch Observationen an den Tagen des 3.,4. und 6. Februar 2010.

Die Zeugin nimmt nach Aufforderung ihre Maske ab, was üblich ist für alle bisher vorgeladenen Zeug:innen, die Anwälte bitten sie auch ihre Sonnenbrille abzunehmen, um die für die Aussage wichtige Mimik sehen zu können. Sie lehnt die Abnahme der Sonnenbrille ab, auch der Richter ist damit einverstanden, dass sie diese aus Gründen ihres persönlichen Schutzes aufbehalten darf. Dieser Schutz diene ihrer körperlichen Unversehrtheit und dem weiteren Ausüben ihres Berufes. Der Staatsanwalt stimmt dem Richter zu.

Die Verteidigung stellt daraufhin einen Antrag auf einen Gerichtsbeschluss die Sonnenbrille abzunehmen, die Zeugin sei auch ohne diese unkenntlich genug (falscher Name, Perücke, aufgeklebte Augenbrauen), zudem gäbe es keine empirische Belegung für die angebliche Gefährdung. Sie führen an, dass es für die Beurteilung der Aussagen der Zeugin wichtig sei deren Mimik beobachten zu können. Es bestehe laut Verteidigung auch die Gefahr, dass diese Praxis in weiteren Verfahren zur Normalität werde.

Nach einer 15-minütigen Beratungspause des Gerichtes, wird der Antrag abgelehnt und die Unkenntlichmachung auch durch eine große Sonnenbrille gestattet, zur Begründung wird auf ein Urteil verwiesen, welches besagt, dass es keiner konkreten Gefahr bedarf, sondern eine wahrscheinliche Gefahr ausreiche. Die Verteidigung gibt daraufhin eine Gegenvorstellung ab. Sie bezeichnen das Schreiben des BfV als Pamphlet, in dem von Resonanzstraftaten nach den G20-Protesten, sowie von Gewalt auf der Straße gegen Repräsentanten des Staates die Rede sei, was nichts mit der Situation im Gerichtssaal zu tun hätte. Auch Angaben, die gänzlich falsch wären, seien in dem Schreiben enthalten. Zudem werde die politische Funktion der Behörde gegen Links, in dem Schreiben deutlich und die Voreingenommenheit des Gerichtes durch diese Behauptungen gefördert.

Der Staatsanwalt stört sich an der Gegenvorstellung und den darin enthaltenen Fragen an den Richter, in dem er auf die StPO (Strafprozessordnung) verweist und sagt, dies wäre nicht vorgesehen. Es folgte die Aufnahme der Gegenvorstellung der Verteidigung ins Protokoll und eine 5-minütige Pause. Die Gegenvorstellung wird zurück gewiesen und die Befragung beginnt.

Die Zeugin meint sie habe keinerlei eigene Erinnerungen mehr an den Einsatz. Sie gibt an sich zur Vorbereitung das Behördenzeugnis, den damaligen Observationsbericht und ihre Aussagegenehmigung angeschaut zu haben. Auf Nachfrage meint sie aber im Widerspruch zu dieser Aussage Cem wieder zu erkennen. Sie könne aber nicht zuordnen wer im damaligen Einsatz welche Beobachtungen gemacht habe. Darüber wie das Behördenzeugnis zustande kommt, hat sie keine Kenntnis und es wäre nicht ihre Zuständigkeit. Sie sei als Zugführerin eingesetzt gewesen, habe den Einsatz geleitet und selbst keine Observationen durchgeführt und somit keine eigenen Wahrnehmungen gemacht. Die Wahrnehmungen der ihr zuarbeitenden Kollegen seien im Observationsbericht zusammen gefasst worden. Dieser sei im Rahmen einer Einstufung mit einer bestimmten Zugangsberechtigung versehen worden, sie habe Zugriff darauf, mehr könne sie nicht dazu sagen. Die Frage ob im Bericht zu sehen wäre wer welche Wahrnehmungen gemacht habe beantwortet sie mit Hinweis auf eine dafür fehlende Aussagegenehmigung.

Das Behördenzeugnis geht aus dem Observationsbericht hervor. Über den Inhalt des Berichtes dürfe sie ebenfalls keine Auskunft geben.

Der Richter meinte nun, dass in einem Schreiben des BfV an das Gericht wohl 10 Zeug:innen benannt worden, welche geladen werden könnten und fragt wer von diesen denn Wahrnehmungen zum Geschehen gemacht habe.

Die Zeugin meint daraufhin, dass sie selbst keine eigenen Erinnerungen dazu habe. Als der Richter wissen möchte, ob er den Observationsbericht lesen dürfe, antwortet sie dann, dass sie keine diesbezüglichen Erfahrungswerte besäße.

Sie wisse auch nicht um welches Behördenzeugnis genau es sich handelt. Sie weiß nur, dass es von Anfang 2010 ist. Der Staatsanwalt hält ihr vor: Behördenzeugnis vom 16.04.2010 und liest den den ersten Satz daraus vor, die Zeugin bejaht, dass es sich um das Zeugnis handelt welches sie vorliegen hätte. Sie sagt sie könne nur zu diesem einen Behördenzeugnis Angaben machen und diese beziehen sich auch nur auf den benannten Zeitraum im Februar 2010.

Nach einer 5-minütigen Beratungspause der Anwälte beginnen diese mit der Befragung der Zeugin.

Es stellt sich in Folge dieser heraus, dass es wohl zur Vorbereitung dieser Verhandlung ein Treffen verschiedener mit dem Fall befasster Mitarbeiter ihrer Behörde gegeben habe, über den Inhalt könne sie keine Angaben machen, da sie hierfür keine Aussagegenehmigung besäße. Dies schließe auch die Frage ein ob es hierbei unter anderem um den Observationsbericht ging. Die Verteidigung sieht die Frage nicht außerhalb der Aussagegenehmigung.

Richter bittet daraufhin die Zeugin, bei ihrem Vorgesetzten in Köln anzurufen um die Frage zu klären.

Die Verhandlung wird für geplant 10 Minuten unterbrochen und beginnt um 14:25 Uhr wieder.

Die Zeugin konnte nun telefonieren und sagt aus, dass ein Gespräch zur Vorbereitung auf die Verhandlung stattgefunden habe, in diesem wurden ihre Rolle als Zeugin in einem Gerichtsverfahren, sowie ihre Rechte und Pflichten thematisiert. Teilnehmer seien der Referatsleiter und Personen, die noch weiter vernommen werden könnten, gewesen. Über die Anzahl der Teilnehmenden habe sie keine Aussagegenehmigung. Sie wiederholt, dass die Aussagegenehmigung nur den Zeitraum 2010 umfasst und beruft sich auf vorherige Aussagen des Staatsanwaltes. Die Anwälte wollen ihre Fragen nach Inhalt und Anzahl der Teilnehmer beantwortet haben und fordern ein erneutes Telefonat, der Richter meint er möchte nicht nach jeder Frage wegen eines Telefonats unterbrechen und bittet die Verteidigung alle vorgesehenen Fragen aufzulisten. Die Verteidigung lehnt das ab, u.a. weil sich die Fragen ja aus den jeweiligen Antworten der Zeugin ergeben würden.

Auf Nachfrage des Richters erklärt die Zeugin über das Vorbereitungsgespräch, dass es eine allgemeine Vorbereitung auf die Rolle im Strafverfahren war, sie drei Schriftstücke zur Vorbereitung bekommen hätte, dass über den Einsatz an sich nicht gesprochen wurde, dass über Erinnerungen nicht gesprochen wurde. Über die Länge des Treffen sagt sie, den bereits bekannten Satz „dazu liegt mir keine Aussagegenehmigung vor“.

Die Verteidigung stellt daraufhin die Glaubhaftigkeit der Zeugin in Frage und meint die Zeugin würde die Fragen des Richters unbefangen beantworten, während die Fragen der Verteidigung abgewiesen würden.

Die Anwälte fragen ob bei dem stattgefundenen Treffen auch Fotos gezeigt wurden, dies wird ebenfalls mit Hinweis auf die Aussagegenehmigung von ihr nicht beantwortet. Auch der Richter ist jetzt darüber verwundert, da die Zeugin zuerst sagte, dass der Einsatz im Treffen überhaupt nicht thematisiert wurde und sie sich nun auf die fehlende Aussagegenehmigung dazu beruft, statt es einfach zu verneinen.

Die Zeugin bittet dann telefonisch Rücksprache hierzu halten zu dürfen.

Nach einer weiteren Pause geht die Befragung weiter. Die Zeugin teilt nun mit, dass die Besprechung eine Stunde dauerte und dass keine Fotos gezeigt wurden, sie saßen in einer größeren Runde zusammen, mehr dürfe sie nicht sagen und auch zur ungefähren Größenordnung dieses Treffens machte sie keine Angaben.

Ihr sei bekannt, dass ihre Behörde eine Namensliste an das Gericht geschickt hat, wie viele Namen drauf stehen wisse sie hingegen nicht. Zur Frage ob alle Personen die auf der Liste stehen, die auch an der Besprechung teilgenommen haben, beruft sie sich wiederum auf ihre mangelnde Aussagegenehmigung zu dieser Frage.

Die Verteidigung ist misstrauisch aufgrund der fragwürdigen Aussagen der Zeugin und regt an, dass das Gericht eine erweiterte Aussagegenehmigung für Mitarbeiter des BfV die als Zeugen geladen werden bezüglich der Anzahl der Teilnehmenden und dem Zeitpunkt solcher Treffen, ihrer Arbeitsnamen und Funktionen beantragt.

Zuletzt fragt der Staatsanwalt noch, ob die Zeugin vor ihrer Vorbereitung Erinnerungen an die Vorgänge besaß. Sie verneint und wird aus dem Zeugenstand entlassen.

Staatsanwalt meint, dass die erweiterte Aussagegenehmigung nicht der Tat- und Schuldfrage vor Gericht nützen würde und fragt den Richter ob er den Antrag überhaupt stellen wird.

Der Richter meint er denke drüber nach und damit endet der sechste Verhandlungstag.

Nächster Termin Donnerstag, 15.7.2021 um 13 Uhr mit der voraussichtlichen Vernehmung eines weiteren Zeugen vom Bundesamt für Verfassungsschutz.