Das Ende der „Klassiker-Gilde” hinter Gittern?

faust-durchs-gitterTexte zum Knast – Teil 1

Es drängt sich für mich eine Diskussion um Fragen auf, die sich um den Zustand und die Veränderungen der Knacki-Population drehen. Der eigentliche Auslöser für meinen kleinen Beitrag ist ein Knastbericht des Langzeitgefangenen Roland Schwarzenberger, der in der Nummer 383 des Gefangenen Info im Februar-März des Jahres erschien. Vom Kollegen Schwarzenberger stammt der Ausdruck „Klassiker-Gilde” – eine Zuschreibung für ein (klein gewordenes) Knacki-Segment, das zu verschwinden droht.

Es ist vermutlich nicht ganz unwichtig, von welchem „Standort” man spricht und gegebenenfalls handelt. Ich bin ja durchaus in meiner eigenen „Rolle” als linksradikaler politischer Gefangener „gefangen”. Dies ist eine Mischung aus Fremdzuschreibung und autonomer Rollenübernahme. Es kann unter Umständen ganz interessant werden, wenn unterschiedliche Blickwinkel zusammenkommen, um das „Innenleben” im Knast zu reflektieren.
Ich will mit diesen Ausführungen einige Fragen anschneiden, die sich mit den Möglichkeiten und Grenzen eines „sozialen Banditentums” vor und hinter den Gittern befassen. Der Inhalt des Textes pendelt zwischen Abgesang und Wiederbelebungshoffnung eines (idealisierten?) „sozialen Banditentums”. Darin drückt sich genau die Ambivalenz aus, wie sie sich in den Gängen und Schächten der Knastanstalten offenbart.

War früher alles besser?
Üblicherweise hört man von „altgedienten” Knackis, dass sich in den letzten zwei Jahrzehnten die Knacki-Population stark gewandelt hat. Man kann von einer Art „Neuzusammensetzung” sprechen. Dies habe u.a. dazu geführt, dass sich bestimmte „Deliktgruppen” in den Knastanstalten in den Vordergrund gespielt haben, die nicht nur in quantitativer Hinsicht dominant sind. Die Anzahl von suchterkrankten Eingeknasteten, die wegen des sog. Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt wurden, dürfte regelrecht in die Höhe geschossen sein. Der Eindruck ist u.a. des Weiteren, dass die Inhaftiertenzahl, die aufgrund sexualisierter Gewalt einsitzt, kontinuierlich zugenommen hat. Insgesamt spricht Schwarzenberger davon, dass diese „Patientenfälle” eher aus der „Mitte der Gesellschaft” kommen und nicht – wie man kurzschließen könnte – aus den „Randgruppen”.
Von Alt-Knackis wird moniert, dass der vormals dominierende Typus des (soliden) Berufsverbrechers mit Ehrenkodex mehr und mehr der Vergangenheit angehört. Auf den einzelnen Stationen der Anstaltshäuser muss man förmlich danach fahnden, um einen zu treffen. Der geflügelte Spruch, man geht in den Knast, um von der konzentrierten Kompetenz der Insassen zu profitieren, scheint auch nicht mehr richtig beherzigt zu werden. Der Knast kann durchaus als Kontaktbörse und Lernort verstanden werden. Dieser wurde nicht selten zu einem Ort umfunktionalisiert, in dem man einen regen Austausch hält, um sich „beruflich” weiter zu qualifizieren. Das steht selbstredend in krassem Widerspruch zum vorherrschenden „Resozialisierungsansatz” der Zwangsanstalt Knast. Hierin drückt sich aber gewissermaßen eine (gelebte) Renitenz aus, sich den Mechanismen der Zurichtung im Knast zu widersetzen.
Auch wenn es nicht direkt ausgesprochen wird, aber im Hintergrund flackert ein „Idealtypus”, der sich beispielhaft in den früheren Ringvereinen widerspiegelt. Gegenseitige Hilfe und ein kennzeichnendes Selbstbewusstsein als passionierter Verbrecher formten den Charakter der Akteure. Ohne an dieser Stelle eine Idealisierung vornehmen zu wollen, kann man in den Ringvereinen zumindest die Keimform eines solidarischen Verbundes erkennen – wohlwissend, dass ein Gutteil des archaischen und patriarchalischen Plunders wegzuräumen ist. Wir haben es vermutlich alle schon einmal bei uns selbst entdecken müssen, dass in den Rückblicken Vergangenes zumeist etwas verklärt wird und der eine oder andere nostalgische Anflug eher ein Irrflug ist.

Solldargemeinschaft im Knast?
Ich kann an dieser Stelle keine „fundierte soziologische Untersuchung” vorlegen, sondern vornehmlich nur Eindrücke schildern, aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass in den Knasten hinsichtlich der Insassen einige Verschiebungen stattgefunden haben, die sich im Knastalltag auswirken. Viele Aspekte, die von (Alt-) Knackis vorgebracht wurden und werden, decken sich weitgehend mit meinen Erlebnissen. U.a. das, dass die Quote der generell desinteressierten Gefangenen bei 90% plus x liegen dürfte.
In diesem Zusammenhang wird oft und gerne auf die Jung-Knackis verwiesen, die ihre Marotten aus dem Jugendvollzug in die JVA’s der Erwachsenen schleppen würden. Ein Generationenkonflikt zeigt sich also auch hinter den Knastmauern. Und wie bei jedem Konflikt dieser Art halten die Alten oft nicht sonderlich viel von den Jungen – und umgekehrt.
Nicht selten habe ich erfahren müssen, dass insbesondere Alt-Knackis abwinken und es für ein hoffnungsloses Unterfangen halten, in den Knastschächten eine Brise mehr an sozialem Verhalten einziehen zu lassen. Nun ist der Knast wahrlich nicht ein bevorzugter Raum, in dem sich solidarische Bande leicht entwickeln ließen. Wenn der Knast ein Spiegelbild der gesamtgesellschaftlichen Situation vor den Anstaltstoren ist, dann zeigt sich dies eben als Abbild hinter denselben. Es dürfte auch zu viel an „pädagogischem Auftrag” sein, jeden Neuankömmling ein Sozialverhalten á la Ringvereine einüben zu lassen. Hinzu kommt, dass das verlockend wirkende knastinterne Anreizsystem, das selbst einige der „gestandenen” (Alt-)Knackis ab einem gewissen Zeitpunkt mürbe, müde und zerbrechlich macht, seine dis-soziale Wirkung nicht verfehlt. Der Knast ist kein monolithischer Block. Im Gegenteil, es erfolgt eine anstaltstechnische Ausdifferenzierung, so dass jeder Knast insgesamt aus drei, vier (Teil-)Knästen besteht, in denen Langzeitgefangene u.a. von sog. Kurzstrafern separiert werden. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, dass der Gedanke einer „Gefangenen-Union” bestimmte Insassen nicht mit einschließen kann. Dieser Passus ist sicherlich heikel, da von Knacki-Seite aus mit einem „Einschluss-Ausschluss-Modell” hantiert wird. Es ist aber auch nicht denkbar, dass kriterienlos eine Aufnahme erfolgen kann. Wenn man im Rahmen einer (basisdemokratischen) Gefangenen-Organisierung, die ausdrücklich gewerkschaftliche Züge trägt, „brave und gut dressierte bürgerliche arschkriechende obrig-keitshörige JA-Sager” (Schwarzenberger) sammelt, verwässert man von Beginn an den emanzipatorischen Ansatz eines solchen Projekts.

Wird es so wie früher?
Was folgt aus dieser „Diagnose”? Zum einen, dass eine Homogenisierung der Knacki-Population in ihrer Gesamtheit ausgeschlossen ist. Zum anderen, dass die potentiell Interessierten einer „Solidargemeinschaft” auf den Arealen der Knastanstalten einen nur verschwindend geringen Teil ausmachen würden.
Festzuhalten ist: angesichts dessen, dass die Knacki-Population fragmentiert und differenziert ist, ist an eine „Vereinheitlichung” der Interessenlagen nicht zu denken. Eine „kollektive Identität” unter den Inhaftierten lässt sich nicht einfach infolge eines Aufrufs herstellen. Es muss mehr hinzukommen, als lediglich über den „Status” zu verfügen, Knacki zu sein.
Einer der allerersten Schritte müsste vielleicht sein, anhand von plastischen Beispielen von Lebensläufen „solider Berufsverbrecher” aufzuzeigen, dass eine „koste es, was es wolle”-Mentalität eben nicht „stilprägend” für einen Knacki ist.
Es geht, bildlich gesprochen, um die Ausbildung eines „Barrikadenverständnisses”. Die Frontverläufe sind doch eigentlich klar gezogen. Komischerweise verfügen die Angehörigen des Anstaltsapparats über ein entwickelteres Front-Verständnis als die Knackis. Aber auch das mag wiederum nur eine Widerspiegelung der Situation draußen sein, denn bekanntlich ist das Klassenbewusstsein der „oberen Zehntausend” oftmals stärker ausgeprägt als bei jenen, die sich Tag um Tag krumm machen. Fehlgeleitet ist es auch, eine Lanze für eine Ausweitung der institutionalisierten Gefangenenmitverantwortung brechen zu wollen. Vielmehr ist auszuloten, welche Spielräume für eine „Unkontrollierbarkeit” zu schaffen sind, in denen weitgehend autonom für die Interessen der Inhaftierten gerungen werden kann. Der Knast als „Hort des Bösen” bringt bisweilen den Vorteil mit, nicht bis in jede Fuge hinein kontrollierbar zu sein …
Das Fernziel ist und bleibt, Stein um Stein Knäste und Zwangsanstalten einzuebnen. Für dieses ambitionierte Projekt erklären sich nur wenige MitstreiterInnen bereit, zumal es vor dem Hintergrund der aktuellen Kräfteverhältnisse auch verdammt visionär und naiv klingt. Diese Zeilen sind Ausdruck eines Annäherungsversuchs und einer Suche nach Parallelen innerhalb der Knacki-Population. Die vielerorts erfahrenen Anstaltsschikanen oder die Billiglöhnerei in den Anstalten (was macht der Mindestlohn?) können Anknüpfungspunkte sein. Wie vieles im Dasein hängt eben vieles vom eigenen Engagement ab. Die seit 2005 bestehende Interessenvertretung Inhaftierter (Ivl) hat z.B. in den vergangenen Jahren die eine oder andere (kleine) Schlacht auf dem Feld der Juristerei geschlagen (und gewonnen). Geht da mehr? Und wie stellt sich überhaupt die Lage in den Frauenknästen dar?
Der Realismus nötigt es einem aber regelrecht auf, tief zu stapeln und keine allzu großen Erwartungen zu hegen. Ich will es bei diesem Kurzüberblick belassen und abwarten, ob sich weitere Einwürfe ergeben, auf die dann zu reagieren wäre …

Oliver Rast – § 129-Gefangener aus dem mg-Verfahren