Artikel in der jungen Welt vom 01.07.13

Rechtsstaat außer Kraft

Oberlandesgericht Frankfurt am Main will Zeugen zur Aussage nötigen. JVA-Tegel verweigert Gefangenem Gebrauch von Computer und angemessene Gesundheitsversorgung
Von Markus Bernhardt

Wer sich in der BRD gegen Kriegstreiberei und für soziale Rechte einsetzt und sich dabei mit der Staatsmacht anlegt, bekommt die volle Härte des bürgerlichen Gesetzbuchs zu spüren. Der Feind steht links, das ist seit Bestehen der Bundesrepublik so. Bereits seit September 2012 müssen sich in Frankfurt am Main Sonja Suder und Christian Gauger vor dem dortigen Oberlandesgericht (OLG) verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Rentnern vor, Mitglieder der sozialrevolutionären Stadtguerillagruppe »Revolutionäre Zellen« (RZ) gewesen zu sein. Konkret sollen die 1933 geborene Sonja Suder und ihr 70jähriger Lebensgefährte Mitte der 1970er Jahre an verschiedenen Anschlägen der RZ – unter anderem bei dem 37 Jahre zurückliegenden auf die Wiener OPEC-Konferenz – beteiligt gewesen sein (jW berichtete).

Während das Verfahren gegen Gauger bereits im April dieses Jahres aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands vom laufenden Prozeß abgetrennt worden war, jedoch weiterhin geführt wird, lehnte das OLG in der vergangenen Woche die erneut von Suders Rechtsanwälten beantragte Haftentlassung ab – die 80jährige befindet sich seit mehr als anderthalb Jahren in Untersuchungshaft. Schon in der Vergangenheit hatten die Richter ihr unverhältnismäßiges Vorgehen gegen Suder damit begründet, daß aufgrund ihres hohen Alters von einer erhöhten Fluchtgefahr auszugehen sei. »Auf Sonja soll offenbar mehr Druck ausgeübt werden, damit sie redet, denn das Material des Gerichts gegen sie ist äußerst dünn«, so Anne Dietz, eine der Sprecherinnen des Solidaritätskreises »Freiheit für Sonja&Christian«, am Sonntag gegenüber jW.

Das OLG erhöht unterdessen auch den Druck auf potentielle Zeugen. So befindet sich etwa Sibylle S. seit Anfang April in Beugehaft, da sie sich im Prozeß weigerte, Einzelheiten zu Ende der 1970er Jahre begangenen Brandanschlägen zu nennen, die Bestandteil der Anklage sind.

»Auch die Vorladung des Zeugen Hermann Feiling ist noch nicht vom Tisch«, berichtete Dietz am Sonntag weiter. So sei der Gerichtsgutachter Dr. Haag für den 5. Juli erneut vom OLG geladen worden, der Feiling die Vernehmungsfähigkeit bescheinigt. Dies, obwohl der unter einem Trauma leidende Zeuge sich am 23. Juni 1978 bei einem Explosionsunfall schwerste Verletzungen zugezogen hatte und ihm in Folge dessen beide Beine oberhalb der Oberschenkel amputiert sowie beide Augen entfernt werden mußten. Durch die Explosion war es außerdem zu einer Hirnschädigung gekommen, die zur Entwicklung einer posttraumatischen Epilepsie führte. Die Polizei hatte Feiling bereits 1978 trotz seines lebensbedrohlichen Gesundheitszustandes im Universitätsklinikum Heidelberg verhört, obwohl dieser nicht vernehmungsfähig war. Dabei hatten die Beamten auch darauf verzichtet, den Schwerverletzten auf sein Aussageverweigerungsrecht aufmerksam zu machen. Während das Gericht offensichtlich alles daran setzt, Feiling in Kürze zur Aussage zu nötigen, kritisierte der Solidaritätskreis eine Verwertung der 1978 unter vollends rechtswidrigen Umständen zustande gekommenen Aussage im Gespräch mit jW als »Legitimation von Folter«.

Während der Prozeß gegen Suder und Gauger bisher bis August dieses Jahres angesetzt ist, ist ein anderes Gerichtsverfahren, welches sich gegen vermeintliche Mitglieder der »Revolutionären Aktions Zellen« (RAZ) richtet, noch nicht terminiert worden. So war es am 22. Mai dieses Jahres in Berlin, Magdeburg und Stuttgart zu Hausdurchsuchungen bei linken Aktivisten gekommen, gegen die die Bundesanwaltschaft nach Paragraph 129 StGB (»Bildung einer kriminellen Vereinigung«) ermittelt und die 2010 und 2011 Anschläge unter anderem auf ein Jobcenter im Berliner Bezirk Wedding und das »Haus der Wirtschaft« in Charlottenburg verübt haben sollen (jW berichtete).

Der von der Durchsuchungsaktion betroffene Oliver R, der sich bis zum 22. Mai im offenen Vollzug in der Justizvollzugsanstalt Hakenfelde befand, wurde noch am selben Tag in die JVA Tegel in den geschlossenen Vollzug verlegt, obwohl gegen ihn kein Haftbefehl vorliegt. Hingegen wird R., wie seine Unterstützer gegenüber dieser Zeitung berichteten, aktuell nicht nur eine adäquate Behandlung eines Rückenleidens verweigert, sondern auch der Gebrauch eines Computers, den er zur Sichtung digitalisierter Prozeßakten nutzen wollte. »Vor dem Hintergrund des vermeintlich anhaltenden aktionistischen Verhaltens sowie der nicht erkennbaren Distanzierung von delinquenzfördernden Personen, müssen hier konkrete Mißbrauchsbefürchtungen erkannt werden«, begründete Teilanstaltsleiter Detlef Stark die Nichtgenehmigung eines Laptops. R.’s Unterstützer kündigten unterdessen an, den Bescheid juristisch anfechten zu wollen.